** Eine tränenförmige Insel **


Ein Juwel, verborgen wie ein Tropfen Träne im Herzen des Indischen Ozeans – seine Geschichte ist ebenso eine Träne. Das ist Sri Lanka.

Aus der Ferne betrachtet, gleicht es einem grünen Paradies. Seine Berge und Reisfelder leuchteten in üppigem Grün; doch unter dieser Schönheit brannte ein unstillbares Feuer – der tiefe Riss des ethnischen Krieges.

Auf Singhalesisch heißt es Sri Lanka, auf Tamil Ilankai – die Namen sind verschieden, doch das Land ist eines.

Einst wurde es von der Welt als „Kornkammer des Ostens“ und als „Perle des Ozeans“ gepriesen. Seine tiefen Häfen und seine geographische Lage machten Sri Lanka seit den Zeiten der alten Seidenstraße bis zu den heutigen Seehandelsrouten stets zu einem strategischen Schatz.

Die Geschichte Sri Lankas reicht über dreitausend Jahre zurück.

In der Sangam-Literatur wurde dieses Land als „Eelam“ bezeichnet und pflegte enge kulturelle Verbindungen mit Südindien.

Anfangs teilten Singhalesen und Tamilen denselben Glauben, verwurzelt in der saivistischen Tradition; die Glocken der Tempel erklangen im Einklang derselben Melodie.

Doch die Zeit trug die Samen der Veränderung in sich.

Im Zentrum dieser Veränderung stand Devanampiya Tissa.

Im Jahr 250 v. Chr. kam Mahinda, der Sohn des indischen Kaisers Ashoka und buddhistischer Mönch, auf den Berg Mihintale, um den Buddhismus zu verkünden.

Jener Tag veränderte das Schicksal der Insel.

Mahindas Worte berührten das Herz des Königs; Tissa nahm den Buddhismus an.

Dem König folgend, nahm auch das singhalesische Volk den neuen Glauben an – und in diesem Augenblick wandte sich der Lauf Sri Lankas auf einen neuen Weg.

 Durch den Einfluss des Buddhismus begannen sich die Wege der beiden Völker langsam zu trennen.

Mit der Zeit verfiel der Buddhismus auf dem indischen Subkontinent, und einige Mönche in Sri Lanka befürchteten fälschlicherweise, dass dasselbe Schicksal auch ihre Insel treffen würde.

Um den Glauben zu bewahren, säten sie in den Herzen der Singhalesen die gefährliche Vorstellung, der einzige Weg zur Rettung des Buddhismus bestehe darin, sich den im Nordosten lebenden Tamilen zu widersetzen.

Diese irrige Überzeugung, die Tamilen seien eine Bedrohung für den Buddhismus, öffnete eine tiefe Spalte in der Inselgesellschaft – und führte zu Verwirrung und Zwietracht in Religion, Sprache und Tradition.

So begann jener unsichtbare Brand, der Jahrhunderte später erneut im Herzen der Insel lodern sollte.

Die fremden Invasionen Sri Lankas begannen schon vor 205 v. Chr. und setzten sich bis 1409 n. Chr. fort – insgesamt elfmal betraten fremde Mächte das Land und hinterließen unauslöschliche Spuren im Blut und Gedächtnis der Insel.

Später legte sich der dunkle Schatten des Kolonialismus über das Land.

1505 kamen die Portugiesen, ihnen folgten die Niederländer und schließlich die Briten.

Unter dem Vorwand von Handel, Bildung und Religion veränderten sie schrittweise die Identität Sri Lankas.

Ihr schärfstes Werkzeug war die Politik des „Teile und herrsche“.

Indem sie Singhalesen und Tamilen gegeneinanderstellten, pflanzten sie den tiefsten Keil in das Herz der Insel.

Als Sri Lanka 1948 seine Unabhängigkeit erlangte, war die koloniale Spaltung noch immer lebendig.

Anstatt diese Wunde zu heilen, machten die neuen Regierungen sie zu einem politischen Instrument.

Die Parole „Ein Land – eine Sprache“ wurde für die Tamilen zum Symbol der Ausgrenzung.

Schritt für Schritt wurden sie aus Bildung, Beschäftigung und Verwaltung verdrängt.

Im unerträglichen Leid, das daraus entstand, begannen die Tamilen zunächst einen gewaltlosen Widerstand gegen die Ungerechtigkeit.

Doch durch Verschwörungen, Unterdrückung und Massaker wurde diese friedliche Bewegung gebrochen.

Die ethnischen Säuberungen häuften sich – und schließlich blieb nur eine Antwort: die Waffen.

In den frühen 1970er-Jahren erhob sich aus den dichten Wäldern Nord-Sri Lankas eine neue Kraft – die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), auf Tamilisch  தமிழீழ விடுதலைப் புலிகள்.

Angeführt wurde die Bewegung von Velupillai Prabhakaran (Karikalan).

Dies war kein gewöhnlicher bewaffneter Aufstand – es war der existenzielle Kampf eines Volkes um seine Identität, sein Land und seine Sprache.

Tausende junger Menschen opferten ihre Jugend für die Idee der Freiheit.

Anfangs als kleine Guerillagruppe entstanden, entwickelte sich die Organisation unter Prabhakarans Führung zu einer strukturierten militärischen Macht.

Mit einer eigenen Armee (Land-, See- und Luftstreitkräfte), einer politischen Abteilung, einem Justizsystem, einer Finanz-, Polizei- und Nachrichtendienststruktur sowie über hundert Untereinheiten funktionierte diese Bewegung schließlich wie ein autonomer Staat.

Die Disziplin und der strenge Ehrenkodex der Befreiungstiger (LTTE) erstaunten die ganze Welt.

Jeder Kämpfer trug eine Zyankalikapsel um den Hals – gefangen zu werden galt als Schande, der Tod als Pflicht.

Frauen kämpften Seite an Seite mit den Männern an der Front.

Die sogenannte „Black Tigers“-Einheit war das Symbol für jene, die bereit waren, ihr Leben zu opfern, um das Herz des Feindes zu treffen.

Auch Indien unterstützte die Bewegung eine Zeit lang – aus geopolitischen Gründen – mit Ausbildung und Waffen.

Doch die Geschichte nahm eine tragische Wendung: Das gleiche Land wandte sich später gegen die Tiger.

Im Jahr 1987 entsandte Indien im Rahmen des sogenannten Indo-Sri-Lanka-Abkommens die Indian Peace Keeping Force (IPKF) auf die Insel.

Offiziell sollten sie die Kämpfe zwischen Tamilen und Singhalesen beenden und Frieden schaffen.

Doch im Namen des Friedens verübten sie Gewalt an genau jenen Menschen, die sie eigentlich schützen sollten.

Krankenhäuser, Schulen und Wohngebiete wurden bombardiert – ganze Dörfer in Schutt und Asche gelegt.

Die Träume der Tamilen zerbrachen in Blut und Rauch.

Nach Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen kamen Tausende Zivilisten ums Leben; unzählige Frauen wurden Opfer grausamer Übergriffe.

Als die IPKF im Jahr 1990 Sri Lanka wieder verließ, waren die tamilischen Gemeinschaften im Norden und Osten der Insel sowohl seelisch als auch körperlich tief verwundet.

Diese Zeit wurde zu einem der dunkelsten Kapitel in der Geschichte des sri-lankischen Bürgerkriegs.

Im Norden und Osten Sri Lankas – in dem Gebiet, das als Tamil Eelam bezeichnet wurde – standen rund 76 Prozent des Territoriums unter der Kontrolle der Befreiungstiger.

Nach dem Jahr 2000 wurde der Distrikt Kilinochchi zur administrativen Hauptstadt von Tamil Eelam.

In den von der LTTE kontrollierten Gebieten funktionierte ein komplexes Verwaltungswesen:

die Bank von Tamil Eelam, das Justizsystem von Tamil Eelam, das Bildungsinstitut von Tamil Eelam und sogar der Rundfunk Tamil Eelam.

Über hundert Institutionen bildeten gemeinsam ein nahezu vollständiges Staatsgefüge – eine Nation im Schatten, aber mit klaren Strukturen.

Obwohl viele Länder der Welt die LTTE als terroristische Organisation einstuften, trug die Bewegung in ihrem Innersten einen Traum –

den Traum von einem eigenen Vaterland für das tamilische Volk.

Doch dieser Traum endete 2009 in Blut und Feuer.

Die Geschichten der Tiger wurden größtenteils verschüttet – flüsternd erzählt hinter den Mauern verlassener Lager,

verloren in der Stille derer, die überlebten.

Trotzdem hinterließ diese Zeit einen unauslöschlichen Abdruck in der Geschichte Sri Lankas –

ein Kapitel, in dem sich die Sehnsucht eines Volkes, die Kraft einer Bewegung und die tiefe Spaltung eines Landes untrennbar miteinander vermischten.

Wegen der Disziplin und der strengen Geheimhaltung innerhalb der Befreiungstiger war es mir zu Lebzeiten unmöglich, meine Geschichte zu erzählen.

Doch nach mehr als dreiundzwanzig Jahren – mit all ihren Siegen und Niederlagen, Opfern und Verrätereien, Freuden und Schmerzen – spürte ich tief in mir,

dass diese Erfahrungen nicht im Schweigen verloren gehen dürfen.

Aus diesem Gefühl heraus entstanden diese Zeilen.

Meine Familie war tief in den Kampf verwoben.

Mein Vater, der aus Überzeugung niemals für den Staat arbeiten wollte, widmete sich der Bildung – er säte Wissen in die Herzen der Schüler und erntete damit großen Erfolg.

Meine Mutter wurde von den Kämpfern nur „Amma“ genannt; unser Haus war für alle „das Haus der Amma“.

Mit dem Märtyrer Thileepan (Leutnant Oberst Thileepan) nahm sie an einem Hungerstreik teil, der bis in den Tod führte – ein Kapitel, das heute Teil der Geschichte ist.

Doch den wahren Kern dieser Geschichte kann man nur mit den Augen eines Kämpfers erkennen.

Meine Schwester und mein Bruder – sie sind die lebenden Zeugen der beiden größten Schmerzen, die mein Leben geprägt haben.

Ende der 1980er Jahre wurde das Leben meiner Schwester von der indischen Armee ausgelöscht – eine grausame Folge des Verrats, den Maththaya, damals stellvertretender Anführer der Befreiungstiger von Tamil Eelam, begangen hatte, als er sich mit der indischen Regierung verbündete. Ihr Tod war nicht nur ein persönlicher Verlust; er war das leise Echo eines größeren Verrats, der unzählige Träume zerschmetterte.

Das Schicksal meines Bruders war nicht weniger tragisch. Er wurde von Mitgliedern der ENDLF verraten und ausgeliefert – einer Gruppe, die sich mit den indischen Streitkräften zusammengeschlossen hatte, um den Traum des tamilischen Volkes von Tamil Eelam zu vernichten. Gefangen genommen und gefoltert, trug er die Narben dieses Verrats auf seinem Körper und in seiner Seele – sein Leiden wurde zu einem stillen Zeugnis für die Grausamkeit jener Zeit.

Als Karuna Amman – einst einer der ranghöchsten Kommandeure der Tigers – den strengen Moralkodex der Bewegung brach, die Kassen plünderte und sich schließlich der srilankischen Regierung anschloss, blieb mir selbst das Leben nur durch das fragile Erbarmen des Schicksals erhalten. Jeder dieser Verrate schnitt tief, erschütterte mein Innerstes. Und doch – anstatt mich zu brechen – machten mich diese Wunden nur stärker. Sie banden mich fester an den Weg, an die Sache, an den Traum, den weder Kugeln noch Verrat auslöschen konnten.

Warum bin ich der Bewegung beigetreten?

Wie wurde ich ein Kämpfer? Welche Ausbildung, welche Aufgaben formten mich?

All das wird dieses Dokument in fünf Etappen offenlegen.

Ich habe in vielen Gesichtern der Bewegung gelebt – in den Spezialeinheiten, in der Aufklärung, in geheimen Operationen, in Bildung, Politik und Finanzen.

Besonders die Geschichten der verdeckten Nachrichtendienstkämpfer sind tief und tragisch:

Sie sind die namenlosen Helden, deren Opfer niemals ans Licht kommen.

Es ist meine Pflicht, ihre Geschichten in diesem Dokument zu erzählen.

Dies ist keine gewöhnliche Autobiographie.

Es ist ein inneres Zeugnis des Befreiungskampfes von Tamil Eelam –

ein Dokument, das Wahrheit spricht über Sieg und Niederlage, über Helden und Verräter,

über Freude und Schweigen –

ein ehrliches Zeugnis eines Volkes, das um seine Freiheit kämpfte.

Manchmal könnte es euch so vorkommen, als würden diese Worte keine Hoffnung auf die Zukunft säen, sondern nur den Schatten der Gewalt heraufbeschwören. Doch es gibt etwas, das ihr vielleicht nicht wisst – dies war eine Bewegung, die auf den Opfern von Tausenden junger Männer und Frauen gegründet wurde, die ihr ganzes Leben der Befreiung ihres Volkes gewidmet hatten. Sie lebten in strenger Disziplin – sie verboten das Rauchen, den Alkoholkonsum und jede Form moralischer Verfehlung – und durch ihre Einheit und Selbstbeherrschung brachten sie die Welt zum Staunen.

Es war nicht nur eine Bewegung; es war eine Lebensweise, ein Traum, eine Festung der Prinzipien.
Und in den Augen derer, die sie erschufen, leuchtete ein unerschütterlicher Glaube – eine Überzeugung, die selbst im Angesicht des Todes nicht wankte.

Wie also konnte eine solche Bewegung – geboren aus Disziplin, Stärke und Opferbereitschaft – von der Landkarte der Welt verschwinden?

An dem Tag, an dem ihr die Antwort auf diese Frage erfahrt, werdet auch ihr von der Last der Geschichte überwältigt sein. Dann werdet ihr erkennen – selbst Zerstörung kann manchmal mit erstaunlicher Ordnung und gewaltiger Kraft geschehen.

 




 1. **Die Notwendigkeit, das Boot zu besteigen**

 *(Ort: Valvettithurai · Jahr: 1988)*

 Der Schatten des Abends breitete sich langsam über die Insel aus. In der Luft lag der salzige Geruch des Meeres, vermischt mit dem Lachen spielender Kinder in der Ferne – es schien ein gewöhnlicher Tag zu sein. Doch während das Leben der Insel seinen gewohnten Klang trug, schlug mein Herz anders – von einer dunklen Angst und einer unbegreiflichen Vorahnung durchzogen. Wie lange konnte ein fünfzehnjähriger Junge schon der Gefangenschaft durch Soldaten entkommen und überleben?

 Wie gewöhnlich war ich gekommen, um Raghuparan zu sehen. Er wohnte in einem Haus in der Nähe des Kinos – es gehörte der Schwester von Rambo Siva, einem gefallenen zweiten Leutnant. Der Eingang dieses Hauses trug immer eine seltsame Stille in sich; Stolz und Trauer lagen in seinen Mauern.

„Akka, ist Raghuparan da?“ fragte ich.

„Er ist noch nicht gekommen... Er geht nur kurz etwas holen und kommt gleich zurück“, sagte sie, während sie in Richtung Küche ging.

 In diesem Moment drang das Geräusch eines Motors in meine Ohren – kein vertrautes, sondern ein hartes, scharfes Geräusch. Ich spähte durch den Türspalt: Ein Militärjeep stand auf der Straße. Im nächsten Augenblick stürmten indische Soldaten in den Hof.

 Mein Herz raste. „Army!“ schrie ich und sprang über die Mauer. Meine Füße glitten aus, und die Glasscherben auf der Mauer schnitten mir in die Finger. Blut tropfte, doch ich landete auf der anderen Seite und rang nach Atem. Nur ein Gedanke trieb mich an: *Ich muss leben.*

 Als ich die Straße überquerte und weiterlief, kam mir plötzlich der Gedanke, dass Raghuparan vielleicht im Haus von Madhavadi sein könnte. Sofort änderte ich die Richtung, rannte durch den Tempelweg und klopfte dort an die Tür. Doch Raghuparan war nicht da. Ich sagte der Schwester, dass die Armee das andere Haus umstellt habe, band mein blutendes Fingerende mit einem Taschentuch ab und trat ins Haus.

 Durch die schmale Öffnung der Haustür beobachtete ich die Hauptstraße. Wieder drang das Motorengeräusch in meine Ohren. „Sie kommen auch hierher!“ rief ich und versuchte, über die Mauer bei der alten Zisterne zu klettern. Ich schaffte es nicht – bis Rambo Sivas Schwester meine Hand ergriff und mich mit zitternder, aber entschlossener Kraft hinaufzog. Ich konnte diesmal nicht auf der anderen Seite hinunterspringen, denn es war eine gemeinsame Mauer – das Nachbarhaus lag direkt dahinter. Ein falscher Sprung, und ich wäre in die Arme der Soldaten gefallen.

 Also entschied ich mich blitzschnell, aufs Dach zu klettern. Ich überquerte mehrere Dächer, sprang über enge Gassen und erreichte schließlich in der Dunkelheit den Strand von Revady.

 Ich wusste, dass bald ein Boot nach Chundikkulam ablegen sollte. Doch als ich dort ankam, war niemand zu sehen. Das Schicksal hatte jedoch andere Pläne: In einiger Entfernung, ein paar hundert Meter vor der Küste, kämpfte ein Boot mit einem ausgefallenen Motor. Ohne zu zögern traf ich eine riskante Entscheidung. Ich sprang ins Meer und begann zu schwimmen.

 Das kalte Wasser biss in meine Knochen, jede Welle raubte mir den Atem. Zurück konnte ich nicht – also schwamm ich weiter, bis ich das Boot erreichte und meine Hand danach ausstreckte. In dem Moment, als ich Erleichterung spürte, sah mich James anna (Major James, damals Verantwortlicher von Vadamarachchi) an und rief:

„Nehmt ihn nicht an Bord!“ – und stieß mich mit der Hand zurück ins Meer.

 Es fühlte sich an, als wäre meine Seele zersplittert. Doch Sivam anna (Lt. Colonel Sivam, den alle „Sivaththar“ nannten) zog mich wieder hinauf und half mir ins Boot.

 Sofort begann eine hitzige Diskussion – ob sie mich mitnehmen sollten oder nicht.

 „Wir dürfen ihn nicht mitnehmen“, sagte James anna.

„Er hat so viel gelitten durch die Armee, deswegen ist er so weit geschwommen. Wie könnten wir ihn jetzt im Meer zurücklassen?“ erwiderte Sivam anna.

 In diesem Moment sprang der Motor wieder an, und das Gespräch verlief sich. Vorn im Boot öffnete Appaiah anna (Lt. Colonel Appaiah, einer der ältesten Kommandeure der Bewegung) eine Tasche mit Essen – Idiyappam und Huhn, dessen Duft sich im Boot ausbreitete. „Iss etwas…“, sagte er ruhig. Trotz der Anspannung brachte mich seine Ruhe zum Staunen – und sie schenkte mir ein wenig Frieden. Da ich hungrig und erschöpft war, aß ich mit ihm.

 Nachdem ich gegessen hatte, fragte mich Sivam anna:

„Bist du schon einmal auf See gewesen?“

„Nein. Aber ich kann schwimmen“, antwortete ich zuversichtlich.

„Wie weit kannst du schwimmen?“

„Selbst wenn du mich jetzt ins Wasser wirfst, würde ich das Ufer erreichen.“

 James anna lachte: „Dann könnten wir ihn ja gleich wieder hinauswerfen!“ sagte er scherzhaft.

 Ich erwiderte: „Wie lange soll ich noch davonlaufen? Ich werde nicht mehr ans Ufer zurückkehren.“

Er sah mich an und sagte ruhig: „Gut... Du wirst noch viel durchmachen müssen.“

 Wir mussten bis Mitternacht warten, bevor das Boot ablegen konnte, da die Patrouillen der Marine erst dann seltener waren. Die Wellen stießen uns, zerrten an uns – mir wurde übel. Es war mein erstes Mal auf See, mein Kopf drehte sich, mein Körper war erschöpft. Immer wieder hallten James annas Worte in meinem Kopf nach: *„Du wirst noch viel durchmachen müssen.“*

 Der Bootsführer bemerkte meinen Zustand und sagte: „Spül den Mund mit Meerwasser – das hilft gegen die Übelkeit.“ Ich tat es, und tatsächlich – das Erbrechen ließ nach, auch wenn die Übelkeit blieb. Nach Mitternacht setzten wir unsere Fahrt fort.

 Einige Stunden später verfing sich der Motor in den Netzen von Fischern. Das Boot hielt an, und während sie versuchten, den Motor zu befreien, fühlte ich mich elend. Schließlich schnitten einige Kämpfer zusammen mit dem Fahrer die Netze durch, und das Boot konnte weiterfahren.

 Langsam dämmerte der Morgen. In der Ferne erkannte ich die Silhouetten von Palmen. Mein Herz füllte sich mit Freude. Die Sonne stieg am Himmel auf. Wir erreichten das Ufer. Kämpfer mit Waffen warteten dort auf uns.

 In dem Moment, als ich aus dem Boot stieg, umschmeichelte der Sand meine Füße. Erschöpft fiel ich auf den Boden, vergrub mein Gesicht in der Erde – und fühlte zum ersten Mal Frieden. Ich wusste: Ich würde nie wieder vor der Armee davonlaufen.

 

 


 

2. **Chundikulam**

Chundikulam — ein Name, den ich bisher nur aus dem Schulunterricht kannte. Auf der Landkarte war es nur ein kleiner blauer Punkt. Ich hätte nie gedacht, dass dieser Punkt einmal zu einem unauslöschlichen Zeichen auf der Landkarte meines Lebens werden würde.

Als ich zum ersten Mal meinen Fuß auf diesen Boden setzte, mischte sich der salzige Geruch der feuchten Luft mit einem Gefühl neuer Lebendigkeit. Ringsum lagen weite Sümpfe und Seegrasfelder, dazwischen verstreut standen Palmen. Über ihnen flogen Hunderte von Wasservögeln – Lebewesen, die diesen Ort zu ihrem eigenen Land erklärt hatten. Manchmal sah man Leoparden, die sich im Gras ausruhten, Rehe, die vorbeisprangen, und in der Ferne schimmerten die Salzkrokodile an der Wasseroberfläche. Im Osten verlief parallel zur Küste eine Reihe von Kokospalmen, wie ein grüner Vorhang entlang des Meeres.

„Solche Orte muss ich noch viele sehen“, dachte ich damals – ein kindlicher Wunsch, der sich wie ein Traum erfüllte.



Das Lager dort hieß **„Ruthiri“** (Two–Three). Der Verantwortliche war **Siva Annan**. Obwohl  Chundikulam ein natürliches Schutzgebiet war, diente es uns zugleich als sichere Basis – ein Ort, an dem die Kämpfer sich ausruhen konnten, an dem wir Verbindung mit den internationalen Seewegen hielten und die Ostküste von Vadamarachchi überwachten. In jenen Tagen lebten dort keine Menschen, und so fühlte sich das Land ganz und gar wie unseres an. Dieses Gefühl von Stolz und Ruhe hallte tief in meinem Inneren wider.

Das Leben im Lager war mir nicht neu; ich war bereits zweimal zuvor in die Bewegung eingetreten. Doch ein kleiner Wunsch blieb: Trotz der unzähligen Kokospalmen war es mir nie gelungen, frisches Kokoswasser zu trinken! Ich bat die Kämpfer oft darum. Sie lachten nur und sagten: „Kletter selbst auf den Baum, wenn du trinken willst.“

Schließlich fasste ich den Entschluss: *„Ich sollte meine Bedürfnisse niemals von anderen erwarten.“*

Diese Entscheidung brachte mir bei, auf Kokospalmen zu klettern – und wann immer ich Durst hatte, wurde der Baum selbst zu meinem Freund.

Diese kleine Gewohnheit führte zu einer neuen Freundschaft – mit **Appaiya Annan** (Mitglied des Zentralkomitees, älter als ich). Auch er liebte Kokoswasser, und so brauchte er meine Hilfe. Aus diesen einfachen Gesprächen entstanden bald lange wissenschaftliche Diskussionen.

Eines Tages sprachen wir über Flugzeugkonstruktionen. Seine Erklärungen widersprachen meinem Schulwissen. „Nein, Annan… das ist eine falsche Konstruktion,“ widersprach ich.

Er lachte, leicht verärgert, und sagte: „Mit fünfzehn sprichst du schon so?“

Dieser Streit trennte uns nicht – im Gegenteil, er brachte uns näher. Erst später erfuhr ich, dass er in Jaffna tatsächlich an Flugzeugentwürfen gearbeitet hatte. Von diesem Tag an hörte ich mehr zu, als dass ich diskutierte.

Nicht nur mit Appaiya Annan, auch mit der Natur schloss ich Freundschaft. Barfuß am Strand Garnelen auszugraben, mit den Kämpfern auf die Jagd zu gehen, die Boote im Küstenwasser zu verstecken – all das wurde Teil meines Alltags. Verwundete Kämpfer über das Meer nach Indien zu schicken, einfache Mahlzeiten zu kochen – selbst heute spüre ich noch den salzigen Duft dieser Speisen, vermischt mit der Meeresbrise, auf meiner Zunge.



In jenen Tagen wartete ich in Sundikkulam – bis der Tag kam, an dem ich weiter in die Wälder von Vanni gehen sollte. Dieses Warten war für mich keine Langeweile. Durch Appaiya Annan begann ich, die frühen Geschichten der Bewegung zu erfahren. Diese Geschichten erfüllten mich mit Staunen, Hoffnung und tiefer Hingabe.

Ich begriff: Dies war nicht nur ein bewaffneter Kampf – es war eine heilige Reise einer Idee. Diese Augenblicke machten mich innerlich stärker.

 Darum erinnere ich mich noch heute an alles – an das Lied der Wellen, das Rascheln des Windes, das leise Lachen der Kämpfer um mich herum – alles fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen.

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*(Zur Erklärung für die Leser: In der tamilischen Kultur gilt es als unhöflich, Ältere beim Namen zu nennen. Stattdessen spricht man sie mit familiären Begriffen an – „Annan“ bedeutet älterer Bruder, „Akka“ ältere Schwester. So wird aus Siva → Siva Annan, und wenn eine Frau namens Pooraani älter ist, nennt man sie → Pooraani Akka.)*

Mein Name in der Bewegung, meine jugendlichen Erfahrungen, die Male, in denen ich zurückkehrte – sie alle sind die Spuren meiner Reise. Nachdem ich diese Erinnerungen festgehalten habe, kehrt meine Geschichte nun wieder zurück – nach ** Chundikulam **.


3. ** „Der Name *Navīnan*“ **

1972 — das Jahr, in dem ein neues Kind des tamilischen Freiheitskampfes geboren wurde. Im selben Jahr kam auch ich auf diese Erde. Das Alter der Bewegung und mein eigenes ließen sich nicht voneinander trennen; wir waren wie zwei Leben, die im selben Jahr begannen. Von meiner Geburt an war mein Dasein untrennbar mit dem Lauf dieses Kampfes verflochten.

Ende der achtziger Jahre – es waren Tage, in denen der Freiheitskampf in einen dunklen Strudel geraten war. Schon der bloße Gang nach draußen erforderte Mut, das eigene Leben zu riskieren. Fremde Truppen hatten sich in allen Ecken der Insel einquartiert; selbst hinter den Bäumen lauerte die Angst wie ein Schatten.


In jener Zeit trat **Raghuparan annan** in mein Leben. Seine Energie, sein scharfer Verstand und seine Liebe zu den Menschen waren für mich eine neue Quelle der Inspiration. Auch die kleinsten Aufgaben, die er mir übertrug, erfüllte ich mit größter Sorgfalt. Jeden Tag hallte in meinem Kopf nur ein Gedanke wider:

*„Eines Tages werde ich ein vollwertiger Kämpfer sein und für die Freiheit Tamil Eelams kämpfen.“*

Meine beiden älteren Brüder waren bereits Teil der Bewegung, und auch meine Eltern gehörten zu den überzeugten Unterstützern. Mein Weg konnte also kein anderer sein – er war die Fortsetzung ihres Schattens.

Eines Tages sah mich Raghuparan annan, lächelte und sagte:

> „Du bist der Bewegung würdig. Heute gebe ich dir einen Namen … von nun an bist du *Navīnan.*

> Diesen Namen darfst du unter keinen Umständen aufgeben.“

Diese Worte drangen tief in mich ein. Von diesem Augenblick an wurde der Name eins mit meinem Leben – *Navīnan* war meine Identität, mein Schwur, mein Leben.

 Drei Jahre vergingen. Im Jahr 1990 verließ Raghuparan annan das Land, um eine wichtige Mission zu erfüllen. Bevor er ging, sagte er zu mir:

> „Wenn die Mission beendet ist, wirst du an meiner Seite sein.“

Er erfüllte seine Aufgabe erfolgreich, doch er konnte nicht mehr zurückkehren. Als er sich von feindlichen Kräften umzingelt sah, befahl er seinen Mitkämpfern, gemäß dem Eid der Bewegung Zyankali zu nehmen. Sie alle starben als Märtyrer. Doch Raghuparan annan, im Zweifel, ob das Gift ihn vielleicht nicht sofort töten würde, nahm das Zyankali und erschoss sich anschließend selbst mit seiner Pistole.

Als mich die Nachricht erreichte, zerbrach etwas in mir. Dieser Schlag brannte einen Teil meiner Seele nieder.



Ein Jahr zuvor – 1989 – befand ich mich im **Nagasaki-Lager** im Manalaru-Wald. In jener Zeit fiel meine einzige Schwester bei einem Hinterhalt der indischen Armee in Vavuniya. Diejenige, die mir diese Nachricht nur zögernd überbrachte, war **Sothiya Akka** – später wurde eine Einheit der Frauenbrigade nach ihr benannt: die „Major Sothiya Brigade“.

Ich erinnere mich noch genau an diesen Tag – ihr Tonfall bebte, und in ihren Augen lag tiefe Trauer.

Erst Monate später, als ein Brief meiner Schwester – sechs Monate vor ihrem Tod geschrieben – in der Zeitschrift der Bewegung veröffentlicht wurde, konnte ich ihre letzten Worte lesen.

Diese Nacht werde ich nie vergessen. Inmitten des Waldes, unter schwachem Licht, hielt ich das im Wind zitternde Blatt Papier in meinen Händen. Die Ränder bebten, und meine Finger zitterten mit. Als ich die erste Zeile las, verschwammen mir die Augen:

> „Mein lieber Bruder Navīnan, ich möchte, dass du weißt …“

In diesem Moment schien mein Herz stillzustehen. Nach einigen Sekunden wurden die Worte klarer:

 > In dem kurzen Absatz ihres Briefes stand ein einziger Satz:

> *„Werde zu dem Menschen, den die Bewegung in dir sehen will.“*

Nur ein Satz – und doch lagen in ihm tausend Welten verborgen. Seine Bedeutung war mir sofort klar:

> „Bewahre deine Identität.

> Verlasse niemals den Weg, den du begonnen hast.

> Lass den Kampf in dir weiterleben.“

Tränen füllten meine Augen. Die Schrift auf dem Papier verschwamm, doch die Worte hallten unaufhörlich in meinem Herzen wider.

Seit jener Nacht blieb nur eine Wahrheit in meinem Leben bestehen – *ich musste den Namen „Navīnan“ bewahren.*

Egal, welche Prüfungen auf mich warteten, welche Stürme mich trafen – ich musste diesem Namen würdig bleiben. Dieser Entschluss wurde in meinem Herzen zu Stein gemeißelt.

Solange ich atme, werde ich auch diesen Namen lebendig halten – denn er ist mein Schicksal, das mit meiner Geburt begann.

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